Isabel Hartung mit Dr. Marco Henry Neumueller

Interview mit Isabel Hartung über die Schlüsselrolle des Beirats in der Multitransformation von Familienunternehmen

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Isabel Hartung ist Multi-Beirätin und Aufsichtsrätin in den Bereichen Tech, Künstliche Intelligenz, Familienunternehmen und Private Equity, mit früheren Rollen als CEO bei TRUMPF Laser Technologie sowie Beraterin und Director of Knowledge Operations bei McKinsey.

Marco Henry Neumueller: In vielen Familienunternehmen wird zunehmend auf die Professionalisierung der Beiräte gesetzt, weg von der traditionellen ‚Family and Friends‘-Besetzung. Welche spezifischen Fähigkeiten und Kompetenzen sind heute deiner Meinung nach besonders gefragt, um die Transformation solcher Unternehmen erfolgreich zu begleiten?

Isabel Hartung: Die Welt ist in den letzten Jahren deutlich komplexer geworden. Wir befinden uns in einer VUCA-Welt, die durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität geprägt ist. Neue Technologien, geopolitische Unsicherheiten und verstärkte Regulierungen stellen Unternehmen vor große Herausforderungen. Und das noch neben Themen wie (Fach-‍) Kräftemangel oder Herausforderungen in den Lieferketten.

Die Anforderungen an fachliche wie persönliche Fähigkeiten und Kompetenzen sind vielfältig.

Eine der wichtigsten Kompetenzen eines Beirats ist die Fähigkeit, ein umfassendes Verständnis des Unternehmens auf strategischer und operativer Ebene zu entwickeln. Es geht darum, die Verbindungen zwischen den verschiedenen Bereichen zu erkennen und externe Entwicklungen richtig einzuordnen. Hierfür ist ein „T-Shaped-Profil“ ideal: breites Wissen über das Unternehmen, ergänzt durch tiefe Expertise in ein bis zwei Schlüsselbereichen.

Ebenso entscheidend ist die Fähigkeit, strategisches Denken mit praktischer Umsetzung zu verbinden. Strategien sind heute komplexer geworden. Es geht um Optionen, Disruptionen, neue Geschäftsmodelle und Übergänge – und das oft in einer Multitransformation. Die Herausforderung besteht häufig darin, bestehende Geschäftsmodelle profitabel zu halten, während gleichzeitig neue Ansätze entwickelt werden. Das passiert gerade sehr sichtbar in der Automobilindustrie oder im Werkzeugmaschinenbau. Der Beirat muss sicherstellen, dass die Vision wie auch die konkreten Schritte zur Umsetzung klar sind und diese aktiv einfordern und unterstützen.

Neben diesen Fähigkeiten ist Unabhängigkeit eine wesentliche Kompetenz eines Beirats. Nur wer frei von Interessenkonflikten agiert und objektiv bleibt, kann kritische Fragen stellen und fundierte Entscheidungen im besten Interesse des Unternehmens treffen.

Grundsätzlich richten sich die erforderlichen Fähigkeiten nach den Fähigkeiten der operativen Ebenen (Geschäftsführung, erste Führungsebene etc.) im Sinne von “Spiegelkompetenzen“. Beiräte müssen auf Augenhöhe mit den Experten im Unternehmen in den Kernfeldern wie Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz (KI), Nachhaltigkeit, HR, Risikomanagement etc. agieren können und zunehmend auch Erfahrung in Krisenmanagement/ Restrukturierung mitbringen

  • Mindestens ein Beiratsmitglied sollte über vertieftes Wissen in Digitalisierung und KI verfügen, je nach Branche auch in Automatisierung und Robotik oder auch andere Technologien wie Quantentechnologie oder Blockchain.
  • Darüber hinaus wird das Thema Nachhaltigkeit immer relevanter, insbesondere aufgrund zunehmender Regulierungen.
  • Finanz- und Risikomanagement gewinnen wieder stark an Bedeutung, da sie entscheidend beeinflussen, wie Bilanzen aufgestellt und Risiken im Unternehmen gemanagt werden.
  • Letztlich ist auch ein tiefes Verständnis der aktuellen und zukünftigen Märkte unerlässlich. In fast allen Branchen verändern sich die Märkte stark, neue Ökosysteme entstehen. In der Automobilindustrie sehen wir beispielsweise, dass nicht mehr nur die Fahrdynamik im Vordergrund steht. Auch Themen wie Telekommunikation und Consumer Electronics werden immer wichtiger.
  • Der Beirat sollte proaktiv auf Krisenvorsorge/Resilienz Aufbau im Unternehmen drängen. Gerade in einer Krise werden oft alle strategischen Maßnahmen zurückgestellt bzw. „einkassiert“. Ein Beirat sollte daher vorbeugend tätig sein und gemeinsam mit der Geschäftsführung Krisenpläne diskutieren. Ein Beispiel hierfür ist TRUMPF, das nach der Entwicklung seiner Strategie ein Krisenvorsorgeprogramm aufgestellt hat, um im Ernstfall vorher definierte Maßnahmen gezielt umsetzen zu können.

Neben den fachlichen Kompetenzen dürfen aber die persönlichen Fähigkeiten nicht vernachlässigt werden. Unabhängigkeit, Integrität, Kommunikations- und Teamfähigkeit, Entscheidungsstärke sowie die Fähigkeit, Konflikte auch unter Unsicherheit zu lösen, sind essenziell. Darüber hinaus werden Eigenschaften wie Leidenschaft, Lernbereitschaft und Mut immer wichtiger. Ein Beirat muss bereit sein, unbequeme Entscheidungen zu treffen und den Mut haben, neue Wege zu gehen, auch wenn dies Risiken birgt. Resilienz ist ebenfalls entscheidend, um in schwierigen Zeiten standhaft und klar agieren zu können. Zu diesen Themen gibt es gute Ausführungen von Rudolf X Ruter, die ich sehr empfehlen möchte.

Das ist nur eine Auswahl der Themenvielfalt und Komplexität, mit der Unternehmen konfrontiert sind. Um bestmöglich zu agieren, sollte der Beirat priorisieren, welche Fähigkeiten und Kompetenzen im Beirat verankern werden sollten – Stichwort Kompetenzprofil.

Der Beirat sollte dabei immer als Impulsgeber, Coach und kritischer Fragesteller agieren, darf aber nicht die Grenze zum operativen Geschäft überschreiten und versuchen „der bessere Geschäftsführer“ zu sein. Nur wenn man in der eigenen Rolle bleibt, kann man die Geschäftsführung in ihrer Verantwortung stärken.


Marco Henry Neumueller: Du hast es schon angesprochen: Unternehmen stehen heute vor der Herausforderung, sich nicht nur in einem Bereich zu transformieren, sondern sich quasi in einem Zustand der ‚Multitransformation‘ zu befinden. Welche Rolle kann und sollte ein Beirat in diesem kontinuierlichen Wandel spielen? Wie kann er sicherstellen, dass er stets nah genug am Geschehen ist, um effektiv zu unterstützen?

Isabel Hartung: Nah genug am Geschehen zu sein ist nicht einfach. Es gibt eine Grenze zwischen dem, was im Beirat präsentiert wird bzw. präsentiert werden kann, und dem, was intern im Unternehmen wirklich passiert. Zusätzlich gilt, dass nicht jeder alles beurteilen kann. Gerade wenn es um eine Multitransformation geht – und ich meine, wir befinden uns aktuell in einer n-dimensionalen Transformation in fast allen Unternehmen – kann man im Beirat koordinieren, welches Beiratsmitglied ein tieferes Verständnis zu spezifischen Themen im Unternehmen entwickeln soll und wie der Beirat daraus eine ganzheitliche Sichtweise entwickeln kann.

Klassisches Mittel der Wahl ist aus meiner Sicht zuallererst, dass der Beirat in Sitzungen durch gezielte Fragen und Nachfassen einen guten Einblick gewinnt. Zusätzlich sollte er seine Meinungsbildung durch Tiefenbohrungen unterstützen. Das kann zum Beispiel bedeuten, Werke oder wichtige Kunden zu besuchen, Hypothesen über die Weiterentwicklung des Unternehmens zu bilden und diese zu überprüfen.

Parallel dazu sollte er sich mit Themen wie Trends, zukünftigen Fähigkeiten, neuen Geschäftsmodellen u. Ä. auseinandersetzen, um in einen konstruktiven Dialog mit der Geschäftsführung führen zu können.

Die wichtigste Voraussetzung für einen solchen Dialog ist es, dass der Beirat ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis zur Geschäftsführung aufbaut. Ohne dieses Vertrauensverhältnis wird es sehr schwierig, offen miteinander zu diskutieren und wirklich zu verstehen, wo die Herausforderungen liegen, was gut läuft und was weniger gut funktioniert. Erst daraus ergibt sich, wie ein Beirat die Geschäftsführung optimal unterstützen kann. Das kann von Sparring einzelner Bereiche bis hin zu einem Austausch mit anderen Unternehmen des Beirats oder gezielten Austausch mit Experten gehen. Hier kann jeder Beirat über Kontakte in seinem Netzwerk unterstützen.

Zusammenfassend gilt: Nur wenn ein Beirat sich dieses „right to play“ erworben hat, wird er effektiv. Ich bin zum Beispiel als Sparring-Partnerin zusammen mit einem Gesellschafter für das Thema Digitale Transformation bei Röchling tätig. Das bedeutet, dass ich im Dialog mit dem für die digitale Transformation verantwortlichen Geschäftsführer bin und gemeinsam nach Möglichkeiten suche, in diesem Bereich weiter voranzukommen.

Es handelt sich immer um ein Geben und Nehmen. Wenn die Geschäftsführung erkennt, dass man hilfreich ist – sei es durch gute Fragen, wertvolle Impulse, Sparring oder nützliche Kontakte –, ergibt sich eine produktive Zusammenarbeit im Grunde von selbst und das gesamte Vorhaben kann erfolgreich umgesetzt werden.

Marco Henry Neumueller: Inwieweit sollte der Beirat in die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle eingebunden sein? Ist es entscheidend, dass Beiratsmitglieder ein tiefgehendes Verständnis für die operative Realität des Unternehmens haben oder sollten sie sich eher auf die strategische Beratung konzentrieren?

Isabel Hartung: Aus meiner Sicht ist beides entscheidend. Ein Beirat sollte eine gute Balance zwischen strategischer Beratung und operativem Verständnis finden. Strategie ohne Operationalisierung ist nichts wert. Auf dem Papier klingt sie zwar schön, aber die eigentliche Frage ist, wie die Umsetzung in der Praxis aussieht. Gleichzeitig muss in allen operativen Themen – wie z. B. bei Restrukturierungen – immer auch klar sein, an welchem Zielbild man sich ausrichtet.

Das Thema neuer Geschäftsmodelle ist aus meiner Sicht brandaktuell und wichtig. Hier ergeben sich oft unerwartete Entwicklungen, die ein Unternehmen schlimmstenfalls völlig aus der Bahn werfen. Das Thema wird noch stark unterschätzt.

Prominente Beispiele, wie Amazon das Geschäftsmodell des Einzelhandels revolutioniert hat, Streaming-Dienste die Musikindustrie verändert oder Uber das Taxigeschäft disrumpiert hat, sind allen präsent. Gerade in mittelständischen Unternehmen erlebe ich aber oft die Einstellung, dass solche Entwicklungen zu weit weg und in der eigenen Branche nicht vorstellbar sind.

Gerade hier ist es wichtig, dass Beiräte sich eine gewisse Methodenkompetenz aneignen. Es gibt z. B. Bücher über „Plattformökonomie“ oder hilfreiche Kompendien wie den „Ecosystemizer“ von Prof. Julian Kawohl. Mit Hilfe des Ecosystemizers lassen sich verschiedene Modelle für das eigene Unternehmen durchspielen.

Erst mit diesem Wissen kann ein Beirat durch gezielte Fragen zu Strategien und Operationalisierung die Geschäftsführung unterstützen – also Fragen wie: Wo wird zukünftig Geld verdient? Wie klar ist die Vision? Wann und wie werden neue Geschäftsmodelle profitabel? Und wie sieht der Übergang vom alten auf das neue Geschäft aus? Wurde mit Methoden wie Spieltheorie, Innovationsparadoxon oder War-Gaming gearbeitet, um durchzuspielen, wie sich die Wettbewerber verhalten könnten und welche Konsequenzen das für das eigene Unternehmen hätte?

Natürlich muss auch geprüft werden, ob ein neues Geschäftsmodell in die bestehende Struktur passt oder ob es separat entwickelt werden sollte. Handelt es sich um eine disruptive Innovation, die andere Fähigkeiten erfordert und eine separate Einheit braucht? Dann sollte überlegt werden, ob es sich lohnt, neue Einheiten auch organisatorisch zu trennen. Ebenso wichtig ist die Prüfung des Business Cases: Sind die Zahlen realistisch, und passt das Narrativ dazu? Wie stellt man sich auf, wenn der Plan sich deutlich verzögert (wie aktuell die Elektromobilität)? Wie schafft man es, eine solche Verzögerung durchzuhalten, und wie wägt man Investitionen in das Legacy-Geschäft und versus das neue Geschäft? Wann stoppt man eine Entwicklung?

Viele neue Geschäftsmodelle erfordern Kernkompetenzen, die das Unternehmen nicht besitzt. Prominente Beispiele sind KI- oder Digitalisierungsfähigkeiten. Daher sollte man die Geschäftsführung fragen, an welche bestehenden Kompetenzen sie anknüpfen möchte und welche Fähigkeiten wie neu aufgebaut werden müssen. Holt man sich neue Leute ins Unternehmen (zum Beispiel Berater)? Oder geht man Partnerschaften bzw. Kooperationen ein?

Weitere Fragen wären: Ändert sich die Kundenbasis? Welche Infrastruktur wird benötigt? Wie sieht die Datenstrategie aus und wem gehören die Daten? Oft ist das nicht klar, selbst wenn Daten im Unternehmen vorhanden sind.

Grundsätzlich gilt auch hier: Der Beirat hat zum einen eine wichtige Rolle als Vermittler zwischen Strategie und operativer Realität. Er ist Sparring-Partner und Innovationsförderer, aber auch Kritiker, wenn das erzählte Narrativ Lücken aufweist. Zudem muss er Risikomanagement betreiben und eine unabhängige Sicht einnehmen, um das komplexe Spannungsfeld optimal zu gestalten.

Gleichzeitig kann er über sein Netzwerk Kontakte zu möglichen Partnern, Ratgebern oder anderen Unternehmen herstellen, die eine ähnliche Herausforderung gemeistert haben – und damit den Best-Practice Austausch fördern.

Marco Henry Neumueller: Du hast mehrmals betont, dass ein Beirat strategische Fähigkeiten mitbringen muss, um wertvollen Input zu liefern. Welche strategischen Fähigkeiten sind deiner Meinung nach heutzutage besonders relevant? Und wie können diese im Beirat gezielt gestärkt werden?

Isabel Hartung: Eine spannende Frage. Die strategischen Fähigkeiten betreffen sowohl die Gesamtstrategie als auch die Einzelstrategien des Unternehmens – zum Beispiel Länderstrategien oder Funktionalstrategien. Nach der Strategieentwicklung geht es dann ebenso darum, die strategischen Überlegungen in einem klaren Plan herunterzubrechen: Was bedeutet das für F&E, für die Produkte, den Marktauftritt usw.? Aus meiner Sicht gibt es sechs wichtige strategische Fähigkeiten, die als Bausteine für die Gesamtstrategie wichtig sind.

Erstens: Szenarioplanung und zukunftsorientiertes Denken, verbunden mit neuen Geschäftsmodellen und Spieltheorie. Man muss in der Lage sein, Trends und Entwicklungen – auch regulatorische- zu antizipieren. Das bedeutet auch, sich Megatrends anzusehen, sich mit Vordenkern auszutauschen und in andere Branchen zu schauen. Daher ist es im Beirat wertvoll, Mitglieder mit verschiedenen Branchenhintergründen zu haben. So lässt sich voneinander lernen und so können Entwicklungen frühzeitig erkannt werden. Ein Beispiel ist das Thema Ewigkeitschemikalien (PFAS), das in Bereichen außerhalb der Chemie noch nicht ausreichend beachtet wird, welches in mehreren meiner Unternehmen relevant ist.

Zweitens: Digitalisierung und Technologie. Beiräte sollten eine gewisse Tiefe im Wissen über die Technologien, die das Unternehmen betreffen und ein Verständnis dafür haben, was Digitalisierung für das Unternehmen leisten kann. Oft wird betont, dass wir viele IT-Fachleute brauchen. Mindestens genauso wichtig sind aber Leute, die verstehen, wie sich IT in dem jeweiligen Kontext sinnvoll einsetzen lässt. Es geht zum Beispiel nicht nur darum, zu wissen, wie man eine Cloud aufbaut, sondern ob eine Cloud überhaupt notwendig ist und welche Relevanz das zum Beispiel für Cybersicherheit hat.

Drittens: Nachhaltigkeit und Environmental Social Government (ESG). ESG ist mehr als CO2-Reduzierung. Es umfasst Themen wie Zugang zu Wasser, Governance, Diversity und mehr. Strategisch sollten Unternehmen überlegen, wie sie ESG-Themen nutzen können, um sich frühzeitig am Markt strategisch zu differenzieren, auch wenn der Markt es noch nicht aktiv fordert? Um sich frühzeitig zu positionieren, ließen sich zum Beispiel recycelbare Materialien nutzen oder Produkte nachhaltig mit design-to-sustainability entwickeln.

Viertens: M&A und Wachstumsstrategien. Das Thema Desinvestition ist für viele Unternehmen in einer Portfolio-Denke ebenso wichtig wie Neu-Investition/anorganisches Wachstum. Unternehmen müssen regelmäßig prüfen, ob ihr Portfolio noch relevant ist oder ob Desinvestitionen notwendig sind, um neue Wachstumsfelder zu erschließen.

Fünftens: Strategische Risikomanagement-Kompetenz. Gerade in einer VUCA-Welt ist es wichtig, die langfristigen Risiken wie technologische oder geopolitische Veränderungen im Blick zu haben. Ein Beirat sollte deshalb darauf drängen, einen Risikomanagement-Rahmen aufzubauen, der die Identifikation, Bewertung und die Überwachung von Risiken klar strukturiert.

Sechstens: Unternehmerisches Denken und Innovationskraft. Die Förderung von Innovationen ebenso wie die Identifikation von neuen Wachstumsfeldern ist bei vielen Unternehmen der Kern für zukünftigen Erfolg. Beiräte sollten Innnovationen fördern und unternehmerisch denken. Die erforderte Offenheit für neue Geschäftsmodelle und die Fähigkeit, die Identifikation von neuen Wachstumsfeldern zu unterstützen und zu bewerten.

Diese strategischen Fähigkeiten müssen im Beirat zusammenspielen, um das Unternehmen erfolgreich zu begleiten.

Marco Henry Neumueller: Der Beirat hat oft die Funktion eines Sparring-Partners für die Geschäftsführung. Wie kann dieser Sparring-Prozess so gestaltet werden, dass er nicht nur beratend, sondern auch unterstützend und gegebenenfalls korrigierend wirkt?

Isabel Hartung: Die richtigen Fragen zu stellen ist entscheidend. Das erfordert Unabhängigkeit und Mut. Ein Beirat muss in der Lage sein, ohne Rücksicht auf persönliche Interessen oder externe Einflüsse zu agieren. Unabhängigkeit ist der Schlüssel, um objektiv und kritisch hinterfragen zu können, was notwendig ist. In Situationen, in denen man unbequeme Wahrheiten ansprechen und der Geschäftsführung gegenüber Widerstand leisten muss ist Mut gefordert – etwa wenn Entscheidungen nicht im besten Interesse des Unternehmens sind.

Neben Unabhängigkeit und Mut sind Zeitreserven und Leidenschaft unerlässlich. Nur wer genügend Zeit investiert und mit echter Hingabe seine Aufgabe erfüllt, kann die Aufgaben im Beirat wirklich erfüllen. Zudem braucht es Leidenschaft – eine tiefe Überzeugung, das Beste für das Unternehmen erreichen zu wollen. Das bedeutet, sich auch über die Sitzungen hinaus mal intensiv mit dem Unternehmen und seinen Herausforderungen zu befassen.

Der AR-Vorsitzende spielt in Summe eine entscheidende Rolle. Er muss nicht nur die Sitzungen leiten, sondern auch für eine offene und vertrauensvolle Arbeitsatmosphäre sorgen, in der alle Mitglieder ihre Expertise einbringen können. Der Vorsitzende muss die Diskussionen steuern und sicherstellen, dass der Sparring-Prozess sowohl unterstützend als auch kritisch bleibt.

Wie schon eingangs gesagt, sind neben der fachlichen Expertise persönliche Eigenschaften wie Integrität, Kommunikationsfähigkeit, Entscheidungsfreude und Resilienz von großer Bedeutung. Sie ermöglichen es, auch in schwierigen Situationen souverän zu handeln und fundierte Entscheidungen zu treffen. Dabei ist gegenseitiges Vertrauen unerlässlich, damit der Austausch nicht oberflächlich und belehrend wird. Wirkliches Sparring bedeutet, die richtigen Fragen zu stellen, verschiedene Perspektiven einzunehmen und auch nachzuhaken, wenn unvollständige Antworten gegeben werden. Es geht darum, dranzubleiben und nicht lockerzulassen, bis Klarheit herrscht. Besonders in Familienunternehmen ist es wichtig, ein Gleichgewicht zwischen Wertschätzung und Hartnäckigkeit zu finden. Hier ist es wichtig, zu erkennen, was das Unternehmen leisten kann, die richtige Geschwindigkeit zu fordern und bei Bedarf weitere Maßnahmen zu empfehlen. Sollte es in speziellen Bereichen an Expertise fehlen, sollte der Beirat nicht zögern, externe Experten hinzuzuziehen.

Am Ende ist es auch entscheidend, wenn nötig, ein klares Veto einzulegen. Auch wenn das unangenehm erscheint, ist es für das Wohl des Unternehmens unerlässlich, ungute Gefühle offen anzusprechen und den Mut zu haben, Alternativen zu fordern. Ein starker Beirat zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht nur zustimmt, sondern auch den Mut hat, gegen den Strom zu schwimmen, wenn es für das Unternehmen erforderlich ist.

Marco Henry Neumueller: Die Digitalisierung ist ein entscheidender Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Inwiefern sollte der Beirat über digitale Kompetenzen verfügen? Und wie kann er aktiv dazu beitragen, die digitale Transformation im Unternehmen voranzutreiben?

Isabel Hartung: Tatsächlich sehe ich in der digitalen Transformation bei vielen deutschen Unternehmen noch ein riesigen Entwicklungsbedarf. Das wird auch durch entsprechende Rankings im internationalen Vergleich gespiegelt (DESI etc.)

Es gibt mehrere Dimensionen, die hier wichtig sind. Die erste Dimension ist, dass der Beirat eine gewisse inhaltliche Tiefe haben sollte, um auch relevante Fragen stellen zu können. Diese Fähigkeit kann er nur entwickeln, wenn er bestimmte Themen bereits verstanden oder selbst erlebt hat. Er muss z. B. wissen, wie ein MRS-System funktioniert, was „Software as a Service“ bedeutet, wie Datenstrategien und KI eingesetzt werden – zum Beispiel in der Produktion oder an der Schnittstelle zum Kunden. Nur so kann er zum Kern der Sache vordringen.

Ein digitaler Beirat unterstützt die digitale Transformation, indem er bei der strategischen Ausrichtung hilft, Beispiele aus anderen Unternehmen einbringt, Netzwerke aufbaut und das Unternehmen mit anderen vernetzt, die mit der digitalen Transformation bereits Erfahrungen gemacht haben. Dabei helfen Best-Practice Beispiele aus meiner Sicht mindestens genauso viel wie Beispiele, warum etwas nicht funktioniert hat. Der Beirat sollte Projekte hinterfragen und Systematik einfordern: Was läuft aktuell? Was sind die Ziele? Und bis wann sollen sie erreicht werden? Solche Fragen wirken oft trivial. Sie sind es aber nicht, da digitale Initiativen meist in vielen Bereichen gleichzeitig stattfinden, oft nur unvollständige Business Cases vorliegen und eine Priorisierung erforderlich ist.

Ein weiteres wichtiges Thema ist das Risikomanagement: Was ist kritisch für das Unternehmen, was weniger? Hier stellt sich – wie schon erläutert – auch die Frage nach der Cybersicherheit, insbesondere bei digitalen Geschäftsmodellen, um die Sicherheit für das Unternehmen und die Kunden zu gewährleisten. Ein Beirat sollte deshalb über Basiswissen im Bereich Datenschutz verfügen und technologische Abhängigkeiten verstehen.

Eine interessante Studie von Deloitte spricht vom „digitalen Zahltag“ und analysiert, wann sich die digitale Transformation auszahlt. Es gibt drei entscheidende Elemente: Erstens die Klarheit der digitalen Strategie, die mit der Gesamtstrategie im Einklang steht. Zweitens die Technologie im Einklang mit der Strategie. Drittens die Veränderungsfähigkeit des Unternehmens. Das Zusammenspiel dieser drei Faktoren kann die Marktkapitalisierung bis zu 5 Prozentpunkte steigern. Das Spannendste dabei: Die Veränderungsfähigkeit ist das entscheidende Element. Wenn diese fehlt, besteht ein Wertverlustrisiko von bis zu minus 9 Prozentpunkten – also eine Differenz von fast 15 Prozentpunkten. Veränderungsfähigkeit ist also der Schlüssel zum Erfolg der digitalen Transformation.

Marco Henry Neumueller: Ein Unternehmen bleibt also nur dann erfolgreich, wenn es sich kontinuierlich verändern und anpassen kann. Wie kann der Beirat dazu beitragen, die Veränderungsfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen? Und welche Instrumente oder Methoden sind hierfür besonders wirksam?

Isabel Hartung: Ein Beirat muss selbst veränderungsfähig sein, um diese Fähigkeit auch von anderen einfordern zu können. Es reicht nicht, Veränderungen zu verlangen, während man selbst seit Jahren im gleichen Trott steckt. Der Beirat kann eine Kultur des Wandels fördern, indem er Perspektivenwechsel anregt, grundlegende Geschäftsmodelle infrage stellt, unbequeme Fragen stellt und Tabus hinterfragt. Es kann hilfreich sein, externe Experten oder Personen aus anderen Unternehmen einzuladen, um neue Sichtweisen einzubringen.

Vielfalt im Beirat ist ebenfalls wichtig. Ein selbstähnlicher Beirat neigt dazu, ähnliche Denkansätze und Fragen zu fördern. Das schränkt die Möglichkeiten zur Veränderung ein. Vielfalt bedeutet nicht nur bessere Geschlechterverhältnisse, sondern auch unterschiedliche Denkansätze, Branchen, Lebenserfahrungen und Altersgruppen. Altersdiversität bringt verschiedene Perspektiven und kreative Impulse ein, die für Veränderungen wichtig sind.

Ein Beirat mit einem breiten Netzwerk schafft Zugang zu anderen Unternehmen, potenziellen Partnern, Universitäten oder Startups. Auch geopolitische Themen lassen sich durch solche Verbindungen besser adressieren. Es gibt auch unkonventionelle Methoden, um Veränderungen anzustoßen (wie Reverse Mentoring, Innovationssprints oder die Einführung agiler Arbeitsweisen). Es ist wichtig, offen für Experimente zu sein und auch zu akzeptieren, wenn nicht alles funktioniert. Entscheidend ist, daraus zu lernen – es also entweder zu reflektieren oder zu stoppen.

Veränderungsfähigkeit bedeutet auch, vorauszusehen und aktiv zu gestalten. Dabei spielen Trendforscher und Technologieexperten eine Rolle, um mögliche Entwicklungen – auch sogenannte „schwarze Schwäne“ – zu antizipieren. Wenn solche Ereignisse das Unternehmen existenziell gefährden könnten, muss man Maßnahmen ergreifen, um sich abzusichern oder sogar vom Erfolg anderer zu profitieren, z.B. in Partnerschaften oder bei Plattformgeschäftsmodellen.

Veränderungen sollten nicht nur als Bedrohung gesehen werden. Ansätze wie Gamification können helfen, Veränderungsprozesse spielerisch zu gestalten.

Insgesamt kann ein Beirat durch all diese Maßnahmen zum Mitgestalter von Veränderungen werden, ohne seine Rolle als beratendes und überwachendes Organ zu überschreiten.

Marco Henry Neumueller: Liebe Isabel, ich danke Dir für dieses inspirierende und aufschlussreiche Gespräch über aktuelle Herausforderungen und die Zukunft der Beiratsarbeit.

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